Der Aufbau eines (wirklich) strategisch ausgerichteten Einkaufs führt zu dessen substanzieller Beteiligung an der strategischen Willensbildung und Steuerung im Unternehmen. Im vierten Teil der Serie wird dieser Entwicklungsschritt am Beispiel der Schreiner Group nachgezeichnet. Darüber hinaus sollen die Konzepte zur evolutionären Entwicklung des strategischen Einkaufs vorgestellt werden, wie sie bei der Schreiner Group praktiziert werden.
Ausgangssituation am Ende von Teil 3 dieser Serie: In der zweiten Phase der strategischen Transformation gelingt es dem Einkauf der Schreiner Group, mithilfe der 15M-Architektur ein ganzheitliches Einkaufsmanagement aufzubauen: Es gibt eine Einkaufsstrategie. Warengruppenstrategien sowie Lieferantenstrategien mit ausgewählten Lieferanten sind formuliert und werden umgesetzt. Die Einkaufsprozesse sind digitalisiert und das Einkaufscontrolling ist implementiert. Der Strategische Einkauf ist umfassend aufgebaut, auch wenn noch vielfältige Verbesserungspotenziale bekannt sind und angegangen werden. Die Zusammenarbeit mit den cross-funktionalen Partnern im Unternehmen funktioniert sehr gut. Ebenso ist die Akzeptanz des Strategischen Einkaufs im Unternehmen mittlerweile sehr hoch.
Phase 3 und 4
Im Jahr 2015 wird die Einkaufsstrategie des Jahres 2013 grundsätzlich überarbeitet. Dabei bemüht sich der Einkauf, seine Strategie an der neu entwickelten Unternehmensstrategie und an den Anforderungen der anderen Abteilungen auszurichten. Eine persönliche Abstimmung erfolgt allerdings nicht.
Bei der Präsentation der Einkaufsstrategie im Geschäftsleitungskreis kommt es dann zu einer massiven Kontroverse. Der zentrale Vorwurf lautet, dass die Einkaufsstrategie zu kostenorientiert und zu wenig an der Unternehmensstrategie mit den Zielen Innovation und Kundenorientierung ausgerichtet ist.
Die anfänglich kontroverse Diskussion nimmt eine überraschende Wende. Es wird deutlich, dass eine intensive Abstimmung zwischen Unternehmens- und Einkaufsstrategie im Interesse aller Beteiligten ist, ganz besonders auch des Einkaufs. In der nachfolgenden Klärung wird der Beitrag des Einkaufs zur Innovation und zur Kundenorientierung herausgearbeitet. Die Intensivierung der Einkaufs- und Lieferantenfrüheinbindung in den Innovations- und Vertriebsprozess sind die Folge. Insbesondere mit dem Aufkommen von Industrie-4.0-Lösungen ergeben sich für den Einkauf neuartige Aufgaben, wie beispielsweise im Rahmen von Entwicklungsprojekten das Lieferantennetzwerk auszusteuern.
Im Jahr 2017 ist der Einkauf der geschätzte Business-Partner, der die Lieferkette strategisch aussteuert und Ideen und Impulse von den Beschaffungsmärkten ins Unternehmen bringt. Unternehmens- und Einkaufsstrategie sind völlig integriert.
Evolutionäre Entwicklung
Die strategische Transformation vom abwickelnden zum wirklich Strategischen Einkauf vollzog sich bei der Schreiner Group innerhalb von vier Jahren. Keine Revolution oder fundamentale Restrukturierung waren die Basis der Veränderung, sondern ein systematischer evolutionärer Verbesserungsprozess. In mittelständischen Unternehmen ist dies häufig der einzig gangbare Weg, um den Einkauf vom Aschenputtel zum CPO zu entwickeln. In der 15M-Architektur stehen hierzu drei Konzepte zur Verfügung: Regelkreissteuerung, Reifegradmanagement, strategische Story.
Regelkreissteuerung
Der Grundgedanke der Regelkreissteuerung ist trivial: Zur Entwicklung der Einkaufsstrategie wird eine strategische Analyse durchgeführt, Ziele formuliert, eine Strategie mit strategischen Stoßrichtungen und strategischen Projekten formuliert. Regelmäßig wird der Umsetzungsstand der strategischen Projekte und der Ziele gecheckt und die Strategie nachjustiert oder fortentwickelt. Dieser Regelkreis erfordert Managementdisziplin, ist aber ansonsten trivial.
Die strategische Steuerung des Einkaufs erfolgt allerdings auf mehreren Ebenen (vgl. Bild): Neben der Einkaufs-Rahmenstrategie müssen für die relevanten Beschaffungsmärkte (z. B. für gummierte Folien, Kunststoffteile) Markt- bzw. Materialgruppenstrategien, für die Top-Lieferanten Lieferantenstrategien und für ausgewählte Prozesse Prozessstrategien formuliert werden. Der Regelkreis jeder einzelnen Strategie ist wieder trivial. Die Marktstrategie beispielsweise für gummierte Folien vollzieht sich in den Schritten Markt- und Hebelanalyse, Marktziele, Marktstrategie mit strategischen Stoßrichtungen sowie Projekten und der Feedbackschleife zur Fortentwicklung der Strategie.
Die Komplexität ergibt sich durch die große Zahl der Teilstrategien und deren Verknüpfung (vgl. vertikale Sicht im Bild). So müssen beispielsweise die Einkaufsziele auf die einzelnen Materialgruppen und ggf. auf die Top-Lieferanten heruntergebrochen werden. Auch eine strategische Stoßrichtung (z. B. Lokalisierung in China) muss in den relevanten Marktstrategien und bei ausgewählten Lieferanten konkretisiert werden. Die 15M-Architektur stellt eine Systematik zur Verknüpfung aller Strategieebenen zur Verfügung.
Reifegradmanagement
Die Schreiner Group hat bereits im Jahr 2014 mit dem Reifegradmanagement begonnen, um den Einkauf systematisch fortzuentwickeln. Auch die Basisidee des Reifegradmanagements ist sehr einfach: Mit der 15M-Architektur ist ein „idealer“ Strategischer Einkauf beschrieben. Aufgrund der modularen Struktur können leicht Teilbereiche gebildet werden, z. B. Einkaufserfolgsermittlung, Marktanalyse, Lieferantenbewertung. Im 15M-Reifegradmanagement wird der Einkauf in 36 Teilbereiche zergliedert.
In diesen Teilbereichen wird jeweils der aktuelle Stand im Unternehmen mit dem Ideal der 15M-Architektur verglichen. Hieraus ergeben sich vielfältige Verbesserungsideen. Diese fließen in die Einkaufs-Rahmenstrategie ein und werden – je nach Priorität – früher oder später umgesetzt.
Strategische Story
Ferner liegt dem 15M-Reifegradmanagement ein Bewertungssystem zugrunde, so dass der Reifegrad in Form einer Kennzahl ermittelt werden kann. Bei jährlicher Wiederholung der Reifegradanalyse können die Fortschritte bei der Entwicklung des Strategischen Einkaufs und seiner Teilbereiche sichtbar gemacht werden. Ganz nach der Devise „You can‘t manage what you can‘t measure” ist das Reifegradmanagement ein wesentliches Element der strategischen Transformation.
Die strategische Story, hilft bei der langfristigen Entwicklung des Strategischen Einkaufs den grundsätzlichen Entwicklungspfad zu definieren und die eigentlichen Ziele nicht aus dem Auge zu verlieren. Bei der Schreiner Group wurde die Zielsetzung „Den Einkauf zum geschätzten Business Partner zu entwickeln“ konkretisiert und dann phasenweise umgesetzt. Die Artikelserie hat sich an den vier Phasen der Transformation bei der Schreiner Group orientiert: (1) Transparenz und Strukturen schaffen, (2) Das Einkaufsmanagementsystem professionalisieren, (3) Die Integration in die Unternehmensstrategie vorantreiben (4), Die Entwicklung in Richtung Industrie 4.0 unterstützen.
Im abschließenden Teil der Serie wird das Changemanagement bei der Schreiner Group vorgestellt.
Das Buch
Eine ausführliche Beschreibung der strategischen Transformation bei der Schreiner Group und einer Anleitung zur praktischen Umsetzung mit den drei Erfolgskonzepten findet sich in dem Buch Strategische Transformation im Einkauf: Fallstudie und Anleitung zur praktischen Umsetzung, Gerhard Heß, Manfred Laschinger, Springer/Gabler-Verlag 2019,
ISBN 978–3–658–25539–8.
Workshop:
Das Institut für Beschaffungsstrategie veranstaltet regelmäßig Workshops, um Einkaufspraktiker für die strategische Transformation im Einkauf fit zu machen:
Zweitägiger Workshop zur Entwicklung des Strategischen Einkaufs und der Supply-Strategie auf Basis der 15M-Architektur, nähere Information: www.beschaffungsstrategie.de
Strategische Transformation im Einkauf
Die Serie
Die Serie: Strategische Transformation im Einkauf
Bereits erschienen:
- Teil 1: Strategische Transformation im Überblick, Beschaffung aktuell Ausgabe 3/2020, S. 36 f.
- Teil 2: Transparenz und Strukturen schaffen, Beschaffung aktuell Ausgabe 4/2020, S. 34 f.
- Teil 3: Den Einkauf professionalisieren, Beschaffung aktuell Ausgabe 5/2020, S. 22 f.
- Teil 4: Integration in die Unternehmensstrategie vorantreiben, Beschaffung aktuell Ausgabe 6/2020, S. 22 f.
Es folgt in der nächsten Ausgabe
- Teil 5: Den Change managen
Die Autoren:
Prof. Dr. Gerhard Heß, TH Nürnberg Georg-Simon-Ohm, Professur für Supply Management und Leiter Institut für Beschaffungsstrategie